Gehst du DEINEN Weg?

Den ganz eigenen Weg im Leben zu gehen, ist oft so, als würde man die bequemen Schnellstraßen verlassen und sich auf unbekanntes Terrain mit unwegsamen Pfaden begeben, – besonders wenn man dabei mehr ins eigene Innere schaut als nach Außen.

Es ist nicht immer einfach, der inneren Stimme zu folgen und auch in die eigenen Abgründe zu schauen, aber so viel spannender, als nach einem vorgefertigten Konzept zu leben, weil alle anderen das tun … oder?

Heute gibt es ein Märchen dazu, das ich vor längerer Zeit mal geschrieben habe:

Die Frau befand sich auf einer langen Reise.

Über Stock und Stein, Wiesen und Bäche, durch Wüsten und Wälder ging sie auf ihrem ganz eigenen Weg.

Manchmal war es beschwerlich, manchmal ging es leicht und lustig voran. Die Frau nahm es gelassen, setzte einen Schritt vor den anderen, gönnte sich ab und zu eine Pause, aber nie lange, dann trieb es sie weiter voran. Manchmal schlich sie, manchmal stürmte sie tanzend weiter.

Wohin eigentlich?

Das wusste sie selbst nicht genau, es war ihr Weg, das war sicher, wo er jedoch hinführte, lag irgendwo im Ungewissen hinter dem Horizont, zu irgend etwas Gutem, Besserem als dem Jetzt, hoffte sie.

Eines Tages kam die Frau zu einer großen Höhle und beschloss, in die Tiefe hinab zu steigen, um die finsteren Gänge zu erkunden. Sie geriet in ein verzweigtes Labyrinth und schritt tapfer durch die undurchdringliche Dunkelheit. Fast glaubte sie, alles wäre verloren und sie würde niemals einen Ausgang finden, trotzdem gab sie nicht auf, und indem sie immer wieder aufs Neue nach einem Ausweg suchte, gelangte sie schließlich zurück ans Tageslicht.

Es tat gut, die Sonne wieder auf der Haut zu spüren.

Die Frau schritt leichtfüßig dahin, bis sie an eine Klippe kam. Darunter glitzerte blaugrün das Meer. Sie zögerte nur einen kurzen Moment, bevor sie sich hineinstürzte, um juchzend und seufzend in den Wellen zu plantschen. Im Wasser traf sie einen Mann, der ihr vertraut und vertrauenswürdig schien, und sie beschloss, ihr Alleinsein aufzugeben und zu zweit weiter zu reisen.

Gemeinsam betraten sie die Insel des Glücks und lebten dort ein ganzes wonniges Jahr. Danach zogen sie weiter durch Gegenden, die freundlich und friedlich waren, nur manchmal mussten sie Gebiete durchqueren, in denen Schatten wohnten, aber dort hielten sie sich nicht lange auf und kehrten schnell auf die sonnigen Wege zurück.

Die Frau genoss die Reise mit dem Mann sehr. Es war ungewohnt, zu zweit zu gehen, manchmal sogar anstrengend, aber meistens sehr angenehm. Doch nach und nach entfernte er sich von ihr, kam zurück, ließ sie wieder allein.

Die plötzliche Veränderung war verwirrend.

Die Frau war es nicht mehr gewohnt, allein zu gehen. Sie wollte ihren Gefährten überall dabei haben. Da wurden die Schatten länger und blieben es mitunter für einige Zeit. Auch tauchten auf ihrem Weg jetzt Schlammlöcher und ausgedehnte Pfützen auf. Während der Mann ihnen geschickt auswich, rutschte die Frau manchmal aus und fiel mitten hinein.

Anfangs half der Mann ihr hinaus und tröstete sie liebevoll. Als die Landschaft noch karger und schlammiger wurde, und die Frau immer häufiger im Morast versank, ließ er sie oft allein. Dann weinte die Frau vor Einsamkeit.

Schließlich setzte sie ihre Reise alleine fort.

Manchmal traf sie den Mann, aber er war abweisend und nur freundlich, wenn sie sich sehr um ihn bemühte.

Eines Tages ging die Frau fort, um Beeren zu sammeln und fand den Weg nicht mehr zurück zu ihrem gemeinsamen Lagerplatz.

So kam sie ins Tal der Tränen. Ein kalter Wind heulte um nackte graue Felsen. Kein Weg war zu sehen, nur scharfkantiges Geröll unter einem farblosen Himmel. Schmerz und Traurigkeit fielen über sie her wie ein Rudel hungriger Hyänen. Die Frau floh in eine Höhle, verbarg sich zitternd in dem dunklen Loch. Dort kauerte sie, schluchzte, weinte und wusste nicht, woher all die Tränen kamen.

In der Höhle sammelten sich die Tränen zu einem kleinen See, der rasch größer wurde. Das Wasser stieg unaufhaltsam, doch die Frau konnte nicht aufhören zu weinen.

Die Tränen flossen aus ihr heraus, als hätten sie lange darauf gewartet.

Schon fürchtete die Frau, sie müsse in der eigenen Trauer ertrinken, so schlimm stand es um sie. Aber im letzten Moment brach das Wasser ein Loch in die Höhlenwand und sie stürzte mitsamt ihrer Tränenflut in ein tiefes Meer.

Hier gab es keine Insel des Glücks, nur peitschende Wellen, die sie mit sich rissen, über den Meeresgrund schleiften, wieder emporhoben, um sie unerbittlich wieder auf den Grund zu schleudern, bis sie die Frau endlich an eine felsige Küste warfen.

Da lag sie erschöpft am Saum des Wassers. Schon kam die nächste Flut, riss sie fort, um sie später wieder auf die Erde zu spucken. So ging es eine Weile hin und her. Die Frau verlor alle Kraft, bald würde sie endgültig in den Wellen versinken. Manchmal, wenn sie bei Ebbe am Strand lag, meinte sie, den Mann aus der Ferne zu sehen, aber es waren wohl Trugbilder, denn er kam nicht zu ihr.

Schließlich spülte eine Flut sie an einen Strand mit flachen Felsen. Mit letzter Kraft gelang es ihr, sich etwas weiter an Land zu ziehen, so dass sie von den Wellen verschont blieb. Lange Zeit lag sie so, leer und so schwach, dass sie nur da sein und abwarten konnte.

Dann kamen einige Frauen, halfen ihr ein wenig weiter die Felsen hinauf, gaben ihr zu Essen und zu Trinken. Sie hatten selbst nicht viel, aber es reichte für das Nötigste. Die Frau saß in einem Liegestuhl mit einer Decke um die Schultern und blickte auf das unruhige Meer. Manchmal schien die Sonne und wärmte ihre schwachen Glieder, manchmal fiel Regen auf sie, und in den Nächten war es bitter kalt.

Sehr sehr langsam erholte sich die Frau. Eines Tages konnte sie schon etwas umher gehen und die Umgebung betrachten. Es gab nicht viel zu sehen an dieser Küste, nur ein paar Felsen.

Es war kein Ort zum Bleiben.

Die anderen Frauen machten ihr Mut, die Reise fortzusetzen. Sie zeigten der Frau ein Boot, dass sie benutzen konnte und gaben ihr etwas Proviant für die Überfahrt. Die Frau bedankte sich und kletterte auf den alten Kahn. Während sie auf den schwankenden Planken Fuß fasste, spürte sie, dass ihre Kräfte zurückkehrten.

Sie war keine kränkliche Überlebende mehr, sie war jetzt stolze Kapitänin ihrer eigenen Jacht.

Das Meer fauchte und tobte, es würde keine ruhige Überfahrt werden. Schäumende Wellen brachen sich am Bug und drohten, das Boot zu verschlingen.

Doch sie hatte das Ruder fest in der Hand.

Wie wild und rau die See auch sein würde; die Frau hatte ihr Ziel klar vor Augen:

Sie wollte ans andere Ufer, zurück auf ihren, ihren ganz eigenen Weg.

Der Kahn tanzte auf den Wellen, die Frau hielt das Steuerrad, und über ihr funkelten die Sterne …

Und nun interessiert mich natürlich:
Drückst Du Gedanken über Deine Erlebnisse oder das, was Du bei anderen gesehen hast, manchmal in Geschichten und Märchen aus?

Und wie ist es mit Deinem Lebensweg:
Gehst Du lieber die breite Straße oder den schmalen Pfad entlang?

Ich bin gespannt auf Deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert